von Pamela Dürr
Spiel
Johannes Boetschi | Rebekka Frei | Louisa Keel | Nina Konjicija | Conny Marti | Carola Nänny | Julia Nänny | Ann-Marie Schmalz
Regie
Stefan Graf
Assistenz
Isabelle Rechsteiner
Layout
Andreas Halter
Produktion
Adrian Strazza
Bühne
Stefan Graf | Lukas Ammann
Musik/Ton
Stefan Graf
Kostüme
Nicole Haraszt
Presse
St. Galler Tagblatt, 11. Mai 2009
Verbrannte Erde hinterlassen
Eine ehemalige Mitschülerin sinniert über Lauras Leben – und ihr Ableben.
Was bleibt, wenn jemand geht – zu jung geht? Das Theater U21 spürt im Flon dieser Frage im Stück «Laura fehlt» in einer zuweilen schier unbequemen Eindringlichkeit nach. Ein starkes Stück Jugendtheater.
Michael Hasler
«Wo ich bin, ist die Mitte», sagt Laura über sich selbst. Doch die Mitte ist nicht mehr, Laura ist nicht mehr, nie mehr. Seit zwei Wochen hat sie in ihrer Berufsschulklasse eine Lücke hinterlassen, die niemand einnehmen kann und die auch niemand einnehmen will. Nur zögerlich entwickeln die acht Schauspielerinnen ein Kaleidoskop von Laura – «Laura Superbörner» –, ihrem Leben an der allzu langen Leine, die irgendwann riss.
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Kluges Rollenspiel
Viel Spielfläche braucht das Theater U21 im Flon nicht. Die acht Protagonistinnen und Protagonisten Johannes Boetschi, Rebekka Frei, Louisa Kehl, Nina Konjicija, Conny Marti, Carola Nänny, Julia Nänny, Ann-Marie Schmalz halten sich bei ihrem Spiel lediglich an einen der neun Bauspriesen, die als Kulisse dienen.
Eine Baustelle also ist die Landkarte, auf der sich die Berufsschülerinnen nach Lauras Ableben bewegen. Eine Baustelle, deren Decke immer wieder einzustürzen droht.
Fragil sind die halbwüchsigen Leben nach dem Schock, der sie erschütterte. Nur zögerlich finden die ehemaligen Mitschülerinnen erst zu ihren Stimmen und dann zu Worten, die hinterfragen, Trost suchen und doch immer wieder abstürzen. «Mit Laura konnte mir niemand was (anhaben), ohne sie…», bricht es irgendwann aus ihrer besten Freundin Alex heraus.
Kongeniale Freundinnen seien sie gewesen, zwei Freaks, von der die eine nicht ohne die andere konnte, lästern die Klassenkolleginnen halb beeindruckt, halb irritiert. Die Schauspielerinnen und Schauspieler schlüpfen dabei abwechselnd in die Rolle von ehemaligen Mitschülerinnen und von Laura selbst. Das kluge Rollenspiel treibt das Stück an, macht es
gleichzeitig anregend undurchsichtig und schafft über den ganzen Spielbogen hinweg atmosphärische Transparenz.
Was ist zu viel?
«Laura fehlt» bietet am Ende – zum Glück – keine Lösungen an, bleibt so gesehen unpädagogisch. Das Ziel des kooperativen Entstehungsprozesses zwischen den Akteurinnen und Akteuren des Theater U21 und Autorin Pamela Dürr bleibt das Ausbreiten einer Jugendbefindlichkeit. Nicht die Frage, was ist richtig und was falsch, sondern was ist zumutbar und was ist zu viel, treibt den Stoff voran.
Pamela Dürr und Regisseur Stefan Graf taten im Vorfeld gut daran, die Eigenheiten der Jugendsprache in einer annehmbar natürlichen Weise zu belassen. «Sie war der Superbörner» oder «er sah aus wie Jabba the Hutt» oder «biedere Chicks» sind Idiome, die so auch auf jedem Oberstufen-Pausenhof zu hören sein könnten.
Nie wirkt das Stück textlich forciert oder jugendlich überspannt.
Stattdessen machen es sich die einzelnen Akteure nicht einfach, operieren oft monologisch, bleiben in ihrem Spiel bewusst zurückhaltend und einzig
die Figur der Laura tobt sich so aus, als ob es stets das Letzte wäre, das sie gerade tut. «Überall, wo sie war, hat sie verbrannte Erde hinterlassen», sinniert Freundin Alex in der vielleicht stärksten Szene des Stücks.
Eindringlich und ideenreich
Mit «Laura fehlt» ist dem Theater U21 ein starkes Stück Jugendtheater gelungen, welches die Erwachsenen und allzu Erwachsenen erahnen lässt, wo das Spiessertum beginnt und wo und wieso sich Jugendliche dagegen abgrenzen müssen. Jugendliche Spektateure werden sich und ihre Welt,
ihre Ängste und ihre Sehnsüchte zwischen den neun Bauspriesen im Flon wiederfinden – etwas, das Erwachsenen beim Imitieren von Jugendstoffen häufig misslingt.
Durch die Montage von Chorgeräusch-Collagen und das ständige Wechselspiel der einzelnen Schauspielerinnen ist «Laura fehlt» klug, ideenreich und doch eindringlich inszeniert. Für Jugendliche, die sich selbst besser verstehen wollen, und für Erwachsene, die auch eine differenziertere Betrachtung von Jugendlichen zulassen können, durchaus ein Muss.
St. Galler Tagblatt, 08. Mai 2009
Dem Eigenen nachspüren
Ein Interview mit der Autorin Pamela Dürr
Der Werkbeitrag, den der Jugendtheaterclub U21 letztes Jahr von der Stadt erhielt, ermöglichte es der Projektgruppe, mit der in Berlin und St. Gallen lebenden St. Galler Autorin Pamela Dürr das Stück «Laura fehlt» zu entwickeln.
Pamela Dürr, von Ihrem zweiten Wohnort in Berlin aus haben Sie mit St. Galler Jugendlichen des Theaters U21 ein Stück erarbeitet. Wie muss man sich einen solchen Prozess angesichts einer Distanz von 800 Kilometern vorstellen?
Pamela Dürr: Ich habe bei Harry Potter gelernt, wie das mit dem «Aparieren» geht. Nein, im Ernst jetzt: Das ging wunderbar! Es ist ja bereits das zweite Projekt, das auf diese Weise entstand. Den Anfang machte vor zwei Jahren das Stück «Blaufransen».
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Ich hatte es ursprünglich für das Theater Tuchlaube in Aarau entwickelt; die Leiter des Jugendtheaterclubs U21, Lukas Ammann, Stefan Graf und Adrian Strazza, wollten den Stoff dann auch für ihre Gruppe übernehmen. «Laura fehlt» entwickelte ich nach einem ähnlichen Prinzip. Das heisst, die Jugendlichen gaben das Thema, welches sie auf die Bühne bringen wollten, selber vor.
Heisst das, Sie spielten eine Art Sekretärin?
Dürr: Nein, auf keinen Fall! Vielmehr basiert das Konzept auf einem langen, interaktiven Entstehungsprozess. Im vergangenen September traf ich das erstemal mit der Theatergruppe zusammen. Für mich war es spannend zu hören, was die Jugendlichen beschäftigt, welche Fragen sie sich stellen, was sie interessiert, berührt, ängstigt. Welche Bücher, welche Filme sie mögen.
Dann ging es darum, herauszufinden, in welchem Genre sie ihr Stück ansiedeln wollten: Sollte wie «Blaufransen» die Post abgehen? Sollte es eine phantastische, wilde Geschichte geben mit Klamauk und Tanz, oder lieber eine ruhigere, persönlichere?
Da wurde bei einer Anzahl von acht Spielenden mühelos ein Konsens gefunden?
Dürr: Voraus ging ein intensives gemeinsames Arbeitswochenende im November.
Die Jugendlichen, die sich dazu entschieden hatten, bei dem Projekt mitzumachen – es ist zeitlich sehr aufwendig – verfassten je zwei Steckbriefe: einen über sich selber und einen über eine fiktive Person, danach hatten sie fünf Minuten Zeit, sich persönlich vorzustellen und ihre Ideen für ein Theaterstück zu formulieren.
Hey, da habe ich gestaunt und musste selber wieder einmal ein paar Vorurteile ablegen! Die Statements waren von einer überraschenden Ehrlichkeit, Offenheit. Und es war sehr schnell klar, dass das Stück eines über ihre eigene Befindlichkeit, über ihr Umfeld an der Berufsschule, in der Lehre, über den Alltag in den Familien, im Freundeskreis werden sollte.
Aus manchen Situationen – wir spielten mit Gegenständen, die ihnen wichtig sind und mit Geräuschen im verdunkelten Raum – ergaben sich bereits die ersten Szenen. Mit dem gesammelten, sehr ergiebigen Stoff zog ich mich nach Berlin zurück. Das waren dann fünf Wochen Schreiben als «Einsiedlerin». Ich begann, Dialoge zu schreiben und versuchte herauszuspüren, wo ich die Jugendlichen herausfordern, wo schützen muss.
Es gab keine Rück- beziehungsweise Absprache mehr mit der Gruppe?
Dürr: Nein, dieser Teil lief anders als bei «Blaufransen», als der Text während der Entwicklung ein paarmal hin- und hergereicht worden war. Ich schrieb das Stück allein und kehrte mit der fertigen Vorlage nach sechs Wochen nochmals nach St. Gallen zurück. Und da passierte dann das Schöne: die Jugendlichen mussten über die Bühnenfassung ihrer eigenen Schilderungen sehr lachen und fanden sich in dem Text wieder.
Es geht in dem Stück um ein Mädchen, das nicht, oder besser gesagt, nicht mehr da ist … man spürt beim Lesen ein leises Unbehagen.
Dürr: Dadurch, dass es um eine Person geht, die nicht da ist, entwickelt sich unter den Klassenkolleginnen und dem einen Kollegen eine ganz besondere Spiel-Dynamik. In der Erinnerung an die frühere, ein bisschen crazy Freundin spiegeln sich auch die eigenen Widersprüche zwischen dem Wunsch, etwas Besonderes sein zu wollen und der Angst nicht geliebt, beachtet, gemocht zu werden, das heisst, zwischen Grössenwahn und Hilfsbedürftigkeit.
Zwei Extreme, die mir aus meiner eigenen Jugend noch sehr vertraut sind. Das kann man auch mit Humor spielen, in «Laura fehlt» unterstrichen durch den «Slang», die eigene Sprache der Jugendlichen.
Das ist nicht Ihre Sprache…
Dürr: Es ist weder meine Sprache noch ist es die Wiedergabe von intimen, persönlichen Geschichten. Die Sprache ist drastisch aber nicht anbiedernd. Die persönlichen Schilderungen wurden auf eine fiktive Ebene gestellt. Wir machen schliesslich sehr lustvoll Theater, und keine Therapiestunde.
Interview: Brigitte Schmid-Gugler