2006 | Ein Funken Leben

 

von Anne Jannsen | Bearbeitung Stefan Graf

Spiel
Sandra Eberhard | Livia Egli | Rebekka Frey | Mirjam Germann | Andreas Halter | Sonja Hartmann | Michele Höhener | Naemi Ilg | Michele Köppli | J.L. | Conny Marti | Martina Mösle | Carola Nänny | Julia Nänny | Janna Seinet | Julia Walser | Sara Zollinger

Regie
Stefan Graf

Assistenz
Isabelle Rechsteiner

Produktion
Adrian Strazza | Lukas Ammann

Bühne
Heini Baumgartner

Musik/Ton
Stefan Graf

Kostüme
Nicole Haraszt

 

Presse

St. Galler Tagblatt, Montag, 22. Mai 2006

Drahtverhau im Kopf

Der nun vom Theater St. Gallen unabhängige Jugendtheaterclub «U21» zeigt seine erste Produktion

St. Gallen. «Ein Funken Leben» heisst die erste Produktion des Jugendtheaterclubs «U21». Das Stück thematisiert berührend, aber nicht rührig Ohnmacht und Rückzug, an deren Ende die Hoffnung steht.

Brigitte Schmid-Gugler

Dunkelheit herrscht. Nicht nur im Jugendkulturraum «Flon», der sich einmal mehr als idealer Aufführungsort bestätigt, sondern auch in Elises Seele. Dunkelheit wie an jenem Abend, als sie nach einem Kinobesuch mit ihrer Freundin dort, wo das Elternhaus stand, einen schwarz qualmenden Trümmerhaufen findet. Kein Funken Leben mehr seither im Leben des Teenagers, der bei diesem Unglück seine Eltern und die geliebte Schwester verlor. Ein hohes Drahtgitter steht gleichzeitig funktional und symbolisch für die Befindlichkeit des jungen Mädchens, das alles verloren hat, was ihm Halt und Vertrauen gab; es sperrt ab und verengt die Sicht, würgt und schnürt wie eine Zwangsjacke. Den tröstenden Standardsatz «Es wird alles gut» empfindet Elise genauso als Provokation wie jede Berührung, jede Annäherung. Nichts wird gut. Alles bleibt dunkel, eingesperrt, gefangen. Sie sitzt in ihrem Gefühlskäfig und will sich nicht helfen lassen. Von niemandem.

Vom Dunkeln ins Licht

Zu kinderlosen Pflegeeltern abgeschoben, bricht sie sämtliche Kontakte zu ihrem früheren Umfeld ab. Alles Lebende, Helle, Fröhliche, ihre Daseinsberechtigung hat sie auf die Semiotik der fünf Buchstaben ihres Namens reduziert. Elise will nicht mehr gemocht werden und sie will niemanden mehr mögen – bis der beharrliche Roland auf der Bildfläche erscheint und in ihr einen Funken Leben zum Glimmen bringt. Und der Funken springt über auf die Mauer, auf den Drahtverhau, lässt bersten, lässt schmelzen, was unüberwindbar schien. Das Leben fängt Feuer und löscht allmählich die marternden Flammen in Elises Erinnerung.

Das vom Theaterpädagogen Stefan Graf bearbeitete Bühnenstück basiert auf einem Roman der Belgierin Anne Janssen, die bei dessen Niederschrift vierzehn Jahre alt war. Was sich als rührig aufgeladener Stoff erweisen könnte, hat Graf in seiner Regie, dramaturgisch betreut von Lukas Ammann, in eine moderne, zügig erzählte Bühnenversion verpackt. Sie bietet den jungen Darstellerinnen und dem einzigen Darsteller den Spiel- und Sprechraum, welcher das Stück in seiner Vielschichtigkeit auszeichnet.

Hervorragende Leistung

Aufgrund der Lektüre des Romans entwickelten die Jugendlichen erste Improvisationen und Szenen, die der Regie führende Graf für seine Bühnenfassung modellierte und anpasste; dann wurde die Geschichte auf siebzehn Rollen verteilt. Mit bemerkenswerter Sensibilität und sicherer Hand setzt er die individuellen Charaktere in Elises Umfeld, lässt sie in lockeren Szenen agieren und setzt die musikalischen Einschübe von elektronischen Samples bis Rock/Pop prägnant. Überzeugend und lustvoll wechseln die Jugendlichen in ihre Rollen als kommentierende Erzählerinnen, Pflegeeltern, Freundinnen sowie in die dazwischen gestreuten Erinnerungs-Flashes von Elise, unprätentiös gespielt von Sonja Hartmann. In ihrer Besetzung zeigt Stefan Graf Gespür für ein Schauspieltalent. Andreas Halter (Roland), der einzige junge Mann in der Truppe, hat keine Mühe, sich neben dem massiven weiblichen Überhang zu behaupten.

«U21» hat sich mit «Ein Funken Leben» für ein sehr aktuelles Stück entschieden. Über die Tragik von Verlust und Tod hinaus setzt es sich im übertragenen Sinn mit der wechselhaften und oft nicht berechenbaren Gefühlswelt eines jungen Menschen auseinander: Sich abgelehnt fühlen und selber abzulehnen; sich unverstanden fühlen und selber zu brüskieren sind Attribute eines schrittweisen Erwachsenwerdens wie die Magie des neun Buchstaben umfassenden Sätzchens: «I ha di gärn.»