2005 | Ein Frühlingserwachen

 

von Adrian Strazza nach Wedekind

Spiel
Sandra Eberhard | Livia Egli | Andreas Halter | Sonja Hartmann | Kevin Högger | Naemi Ilg | Michele Köppli | J.L. | Conny Mart | Carola Nänny | Julia Nänny | Stephanie Schudel | Julia Walser | Alexandra Stravkovic | Carole Zünd

Regie
Adrian Strazza

Assistenz
Ensemble

Produktion
Lukas Ammann

Bühne
Heini Baumgartner

Musik/Ton
Stefan Graf

Kostüme
Nicole Haraszt

 

Presse

St. Galler Tagblatt, Montag, 20. Juni 2005

«Sexi Hexi» oder Freihandbibliothek?

Jugendtheaterclub St. Gallen spielt «Ein Frühlingserwachen» im Jugendkulturraum Flon

«Ein Frühlingserwachen» ist eine von Jugendlichen modernisierte Fassung des Stückes «Frühlings Erwachen» von Frank Wedekind. Eine Tragödie bleibt es auch heute.

Daniela s. Herman

Die Jugend von heute ist eine andere, die Gesellschaft auch. Doch die Probleme der Jugendlichen in Pubertät sind gleich geblieben: Schulaufgaben und Prüfungen bewältigen, Beziehungen zum anderen Geschlecht aufbauen, auf tausend Fragen Antworten finden.

Was ist die Liebe überhaupt? Wie soll ich sie erkennen? Wer gibt mir Auskunft über Sex, über das «erste Mal»? Wo liegen die Grenzen? Wie finde ich mich im Leben zurecht? Was ist das Leben? Und der Tod?

Böses Erwachen

Das im Jahr 1891 erschienene Theaterstück «Frühlings Erwachen» schildert sexuelles Erwachen der Jugendlichen und kritisiert die bürgerliche Moral der damaligen Gesellschaft. Die Geschichte stellt drei Jugendliche in den Vordergrund: Moritz, der Probleme in der Schule und mit den strengen Eltern hat, Melchior, den Musterschüler mit liebevollen Eltern, und Wendla, die auf ihrer Suche nach Liebe zum Opfer einer Vergewaltigung wird. Moritz bringt sich in Verzweiflung um, Wendla stirbt nach der Abtreibung. Auch Melchior erleidet ein tragisches Schicksal. Unter der Leitung des Theaterpädagogen Adrian Strazza haben sich 15 Jugendliche während sechs Monate im Grundkurs des Jugendtheaterclubs St. Gallen mit Wedekinds Stück auseinander gesetzt und eine modernisierte Version erarbeitet. Das Resultat beeindruckt. In kurzen Szenen auf einer mit schwarzen Wänden und schwarzen Podesten ausgestatteten Bühne spielen die Jugendlichen abwechselnd alle Rollen. Sie sprechen ihre Texte in Dialekt, ihrer Alltagssprache. Inhaltlich wurde das Originalstück wenig verändert.

Anders, aber nur teilweise

Weil die Jugendlichen von ihren Eltern meist keine klaren, offenen Antworten über Sex bekommen, wandern sie zwischen «Sexi Hexi»-Shop und Freihandbibliothek auf der Suche nach Aufklärung. Oft dient die Zeitschrift «Bravo» als Aufklärungsquelle. Bei den Jungen kann es auch der «Playboy» sein. Doch da steht nichts über die Grenzen und so geschieht es, dass Melchior, der Musterknabe, seine erste Liebe Wendla im jugendlichen Sturm und Drang vergewaltigt. In Unterschied zu Wedekins Wendla, darf die Wendla von heute über ihre Schwangerschaft selber entscheiden. Das Stück lässt die Frage offen. Der Traum von einer romantischen, grossen Liebe und einer perfekten Familie ist jedoch ausgeträumt. Trotzdem bleibt es eine Tragödie. Wie im Original bleibt der Träumer Moritz trotz seiner Freundschaft mit Melchior ein Aussenseiter. Für seine Probleme sieht er nur den Tod als Lösung. Die Szene, in der er sich nach einem gescheiterten Fluchtversuch nach Amerika, für den Selbstmord entscheidet, gehört zu den ergreifendsten Momenten, ebenso die Liebesszene zwischen Melchior und Wendla. Die Vergewaltigung wird in Form einer symbolträchtigen Choreographie dargestellt. Zur Musik von «Apocaliptica» entstand mit Hilfe der beiden Produktionsleiter Lukas Ammann und Stefan Graf eine Tanzszene, die willkommen das wortlastende Spiel unterbricht. Die Botschaft erreicht trotzdem das Publikum.