von Pamela Dürr
Spiel
Sandra Eberhard | Livia Egli | Rebekka Frey | Andreas Halter | Michele Köppli | J.L. | Martina Mösle | Ann-Marie Schmalz | Julia Walser | Gabriel Zimmerer | Sara Zollinger
Regie
Lukas Ammann
Assistenz
Isabelle Rechsteiner
Produktion
Adrian Strazza
Bühne
Stefan Graf
Musik/Ton
Stefan Graf
Kostüme
Nicole Haraszt
Presse
St. Galler Tagblatt, Dienstag, 19. Juni 2007
Hammermässig blaugefranst
Das Jugendtheater U 21 hatte im Flon Premiere seiner diesjährigen Produktion
St. Gallen. Was einer aus dem hohen Norden stamm- enden, auf Atlantantis gestrandeten Delegation vom Volk der Blaufransen widerfährt und wie ein Huhn zum Star des Abends wird, davon erzählt «Irren und Fahrten der Blaufransen».
Brigitte Schmid-Gugler
Es ist dunkel wie die Nacht auf dieser Bühne. So dunkel wohl wie in jener Nacht, als es die Blaufransen plötzlich wie einen gut durchgeklopften Strudelteig an den Strand der Insel warf. Heiss ist es dort auch, claro, mit zwei Sonnen am Firmament. Und auch sonst ist alles ein bisschen anders als auf dem Rest der Welt. Aus der Traum vom Ankommen, Geschichten sammeln und frohgemut nach Hause segeln. Die «Frigg» hats in Stücke zerrissen und Freydis Nordwind, die erfahrene Kapitänin gleich mit. Was von ihr noch übrig ist, findet die ulkige Trollin, die es nicht leiden kann, «zwei gliichligi vo öppisem» zu besitzen, in einem ihrer Stiefel. Igitt. Als Revanche für die Befriedigung ihres Einzelschuh-Ticks durch die übrig gebliebene Blaufransenschaft, gibt sie immerhin Infos zur Insellage weiter. Rechtswinklig an den beiden Sonnen vorbei sollte irgendwann die Erleuchtung kommen, meint sie. Aber wie gesagt, Atlantantis ist mehr anti als Atlantis, und wem im Multipliziersumpf von Blaufransen-Fliegenabwehr Fanny Mückentodt eine Fliege von der Schulter geklatscht wird, fällt um und ist tot wie eine tote Fliege. Dergleichen dezimiert, multipliziert sich der Stress unter dem geschrumpften Häuflein aus dem Norden natürlich bedrohlich.
Zumal man in Showmustgoanien auch noch die fiese Miss Couch Potentato wegzappen muss, Selma, das Huhn, sich in den dreiköpfigen Drachen Yggy (dargestellt von drei Plüschdrachen, wunderbarer Einfall!) verliebt und der Erleuchtete nichts Gescheiteres weiss als verklärt zu säuseln «der Weg ist das Ziel» und mit seinem OMMM-Gefolge die arme Selma zu rupfen. Glücklicherweise hat der flapsige Schutzengel, der seine Schutzfunktion des Segeltörns mehr als mangelhaft ausgeführt hat, noch einen ultimativen Austausch-Trick auf Lager, was ihn rehabilitiert und die Frigg-Frauschaft wieder zum Leben erweckt.
Sensibel geführt
Herrlich anzusehen und noch herrlicher anzuhören ist diese wilde nordische Bande, die nicht auf Raub aus ist, sondern auf Nächte füllende Geschichte. Der Regie führende Lukas Ammann hält sich in dem von Pamela Dürr verfassten Bühnenstück für Jugendliche sehr genau an Text und Regieanweisungen. Und er tut gut daran. Pamela Dürrs Vorlage ist ein Paradebeispiel für frisches, spritziges Jugendtheater. Mit den kurzen Szenenwechseln und einer zeitgemässen Sprache bietet es einer grösseren Truppe gleichberechtigt die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Rollen mit- und nebeneinander im Bühnenspiel zu testen. Ammann führt die neun Darstellerinnen und zwei Darsteller mit sensibler Hand, ermuntert und reduziert und lockert dem Spiel die Zügel, wo es das Stück erlaubt. Hierzu bieten sich Gelegenheiten zuhauf.
Sandra Eberhard, Livia Egli, Rebekka Frey, Andreas Halter, Michèle Köppli, J.L., Martina Mösle, Ann-Marie Schmalz, Julia Walser, Gabriel Zimmerer und Sara Zollinger haben sichtlich grossen Spass an ihrem Leben als Blaufransen. Ohne jegliche Versprecher – auch die Dialektfassung kommt den jungen Darstellenden entgegen – und unter beachtlichem Körpereinsatz trotzen sie den Widrigkeiten auf der Insel-Gegenwelt.
Frech und fetzig
Besondere Erwähnung verdient Gabriel Zimmerer als Huhn Selma. Mit wenig Text, dafür mit Gegacker in sämtlichen Ton- und Lebenslagen, bringt der junge Schauspieler das Publikum zum erheiterten Gackern – will heissen, zum Lachen. Er ist, etwa wenn er von der Mannschaft für zu nervöses Gegacker zurechtgewiesen wird, den Gemütslagen einem Huhn so nahe, dass man meinen könnte, er hätte seine Einweisung im Hühnerstall erhalten. Unterstützt (und abgefedert) werden seine Auftritte durch den samtseidenen gepolsterten Hintern, so, wie überhaupt alle Kostüme von Nicole Haraszt die Aufführung passend ergänzen. Den Blaufransen hat sie Schottenröcklein mit (modisch) tief sitzenden Gürteln verpasst und Miss Couch Potentato eine ansehnliche Fettleibigkeit um den Bauch geschnürt. Stefan Grafs Bühne beschränkt sich auf neutrale schwarze Wände und eine dicke Schicht groben Holzhäcksel. Hier wird mit einem klugen Griff das Kräuseln der Meeresoberfläche und der Boden der Insel samt Sumpf gleichzeitig zum Requisit. Wenn sich nach neunzig Minuten die Crew samt Tier die Schnipsel von den Kleidern und aus den Federn schüttelt, ist man ein bisschen traurig. Weil das blaufransenmässig coole Inselstück schon vorbei ist.